Mittwoch, 3. Oktober 2012

Dabei sein dürfen …

Oftmals habe ich Artikel an dieser Stelle damit begonnen, einem Film vorzuwerfen, er habe keine richtige Handlung. Erstaunlicherweise müsste ich im Falle des heute besprochenen Streifens eigentlich ebenfalls damit anfangen. Doch erstaunlicherweise gereicht es diesmal nicht zu einem Vorwurf. Den, was dem einen ein Nachteil, kann dem anderen durchaus zu einem Vorteil erwachsen.

„Kleine wahre Lügen“

Die Bässe dröhnen, der Alkohol fließt in Strömen und mittendrinn steht Ludo. Ein junger Franzose Anfang dreißig. Er feiert an einem Wochenende in einem Pariser Nachtclub ab. Als es ihm zu viel wird, setzt er sich ab und besteigt seinen Roller, der vor dem Gebäude parkt. Die Straßen von Paris sind zu dieser frühen Stunde noch entspannend leer. Die Idylle endet jedoch als Ludos Roller von einem Müllfahrzeug übersehen und in voller Fahrt erfasst wird. Zwar überlebt er den Unfall, trotzdem sind seine Verletzungen lebensbedrohlich.
Während Ludo auf der Intensivstation um sein Leben kämpft, treffen seine Freunde im Krankenhaus ein. Natürlich sind alle besorgt und wollen den Freund sehen, später stellt sich aber die Frage was nun mit dem gemeinsamen Urlaub an der französischen Küste wird.
Der Freundeskreis von Ludo ist nämlich ein illustrer Haufen mit Menschen die nicht unterschiedlicher sein könnten. Allen voran Max, ein penetranter Hotelier mit dem Hang zum Perfektionismus, Eric der angehende Schauspieler, Vincent der Physiotherapeut, die verrückte Marie, der liebeskranke Antoine. Eines jedoch verbindet sie, eine tiefe Freundschaft und der alljährliche Urlaub.

Durch den Unfall wird die Planung nicht leichter. Nach langem Zaudern entschließt man sich trotzdem zu fahren, wenngleich das schlechte Gewissen Beifahrer zu sein scheint. Aber auch von anderer Seite ziehen dunkle Wolken auf. So wurde Antoine nach elf Jahren von seiner Jugendliebe Juliette verlassen und Vincent offenbart Max in einem vertraulichen Gespräch, dass er sich in ihn verliebt hat. Dies wiederum wirft Max, der mal ganz nebenbei der Patenonkel für Vincents Sohn ist, total aus der Bahn.
Der Urlaub beginnt vielversprechend. Max hat ein neues Motorboot gekauft und auch Austernfischer Jean-Louis begrüßt die Freunde überschwänglich an seinem Strand. Schnell aber bröckelt die Fassade. Die (Beziehungs-) Probleme holen die einzelnen Freunde ein. Anstatt sich jedoch einem anderen anzuvertrauen, beginnen die kleinen Notlügen. Allzu schnell nagen diese an der Freundschaft der Gruppe, die Stimmung scheint immer schlechter zu werden.

Was im ersten Drittel der Handlung noch wie ein sommerlicher „Feel-Good“ Film (mit zugegeben tragischem Anfang) beginnt, entwickelt sich fix zu einer waschechten Tragikomödie.
Denkt man am Anfang noch die Geschichte würde sich um Ludo und den Unfall drehen, wird schnell klar, dass dies nur der Einstieg in die Freundschaft der Gruppe ist. Auch im weiteren Verlauf besticht „Kleine wahre Lügen“ vor allem durch das Fehlen einer klassischen Handlung. In dem Film passiert bis auf den Unfall in den ersten fünf Minuten und den darauf folgenden Urlaub nichts. Das ist in diesem Ausnahmefall nicht als Kritik zu verstehen. Stattdessen dürfen wir nämlich den einzelnen Figuren bei der Bewältigung ihrer Probleme beobachten. Sei es Max, der mit einer Axt auf Marderjagd geht um einem klärenden Gespräch mit Vincent zu entkommen oder Jungschauspieler Eric, der erkennen muss, dass Seitensprünge für eine Beziehung tödlich sind.
Regisseur Guillaume Canet gelingt es eine wirklich vielschichtige Story zu entwerfen und für den Zuschauer immer weiter zu spinnen. Und dies sogar ohne langweilig zu werden. In einer immer dichter werdenden Atmosphäre steuert man regelrecht auf ein unerwartetes Finale hin, dass ich an dieser Stelle nicht verraten werde. Wie schon erwähnt, ich habe mich während des Films dabei ertappt, die Freunde um ihre Erlebnisse und den Zusammenhalt zu beneiden. Es war mir fast schon eine Ehre bei dem Urlaubstripp dabei sein zu dürfen. Wenn auch nur vor der Mattscheibe.

Handwerklich besticht der Film vor allem durch einen sehr passenden Soundtrack und einer interessanten Kameraführung. Diese zeigt den französischen Film in Bestform, woran sich selbst manch amerikanische Produktionen etwas abschauen könnten.

Wenngleich ich am Ende des Films die grobe Handlung von „Kleine wahre Lügen“ in weniger als drei Minuten zusammenfassen könnte, würde ich dies für den vielschichtigen Beziehungsplot nicht in einer Stunde hin bekommen. Auf alle Fälle fühlte ich mich wahnsinnig gut unterhalten. Die Beziehungen der Gruppe, die kleinen Lügen und die bröckelnden Fassaden zusammen mit einem unerwarteten Ende, haben mich echt umgehauen.
Der einzige kleine Kritikpunkt ist die Filmlänge. Zwar geben die zweieinhalb Stunden, dem Regisseur ausreichend Zeit alle Charaktere ausführlich zu beleuchten. Trotzdem eine halbe Stunde weniger hätte es auch sein können.
Was bleibt ist ein wahnsinnig toller Film, von dem ich dies nie im Leben erwartet hätte. Aufgrund dieser übererfüllten Erwartungen, der tollen Umsetzung sowie einer hervorragenden Regieleistung, vergebe ich mal wieder ganze vier Sterne!

Hier der Trailer:



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